Ein für Berneck und ganz Oberfranken zweifellos wichtiges Thema. Anette Kramme hatte deshalb als örtlich zuständige SPD-Bundestagabgeordnete geladen. Als Dialog-Partnerin gekommen war ihre Kolle-gin Iris Gleicke. Sie ist wie Kramme Parlamentarische Staatssekretärin und die Beauftragte der Bundes-regierung für Mittelstand und Tourismus. Der Einladung ins Casa di Cura gefolgt waren unter anderem ein gutes Dutzend Bürgermeister, viele Gemeinde-, Stadt- sowie Kreisräte, aber auch zahlreiche Gastronomen, Hoteliers, Wirtschaftsförderer, Touristiker, einschlägige Vereinsvertreter und am Thema inte-ressierte Bürger. Anhand der späteren Fragesteller reichte das Einzugsgebiet über mehrere Landkreis-grenzen hinweg nachvollziehbar mindestens von Wunsiedel bis Kulmbach und von Naila bis Gräfenberg.
Lesen Sie mehr:
Für Kramme bedeutet Tourismus nicht allein Urlaub und Freizeitvergnügen sondern gleichzeitig Jobmo-tor und wichtiger Wirtschaftszweig. Ein Sektor, der einem steten Wandel unterzogen ist, abhängig von kurzfristigen Trends und Lifestyle-Bedürfnissen. Eine Schnelllebigkeit, mit der gerade ländliche Räume oft nur eingeschränkt mithalten können. In ihrer Eingangsrede umriss sie spezifisch oberfränkische Tou-rismusprobleme. Als einziger bayerischer Bezirk weist er eine rückläufige Tourismustendenz auf und einen Investitionsrückstau. Die Struktur ist geprägt von einer Vielzahl an Kleinvermietern. Mit der wach-senden Bedeutung der Buchungsportale und ihren hohen Vorgaben hinsichtlich kurzfristiger Verfügbar-keit und Stornierungen, können kleine Betriebe oft nicht mithalten. Aber Kramme sieht auch Chancen. Denn der Tourismus in Deutschland wächst. Auch wegen der demografischen Entwicklung bleiben ver-mehrt ältere Urlauber im Land, die vor zehn Jahren nur Fernreisen buchten. Kultur und Gesundheit sind große Trends. Letzterer erfordert jedoch große Investitionen. Mancherorts wird Tourismus bei weiter rückläufiger Bevölkerung sogar mit dazu beitragen müssen, dass die Infrastruktur aufrecht erhalten bleiben kann. Politischer Anspruch und kommunale Realität Jürgen Zinnert sprach mit seinem Impulsreferat den angereisten Bürgermeister-Kollegen spürbar aus dem Herzen, als er darauf hinwies, dass zwar „von der Bundes- und Landesebene bis hin zum eigenen Landrat gebetsmühlenartig die Notwendigkeit der Stärkung des Fremdenverkehrs eingefordert und auf dessen unverzichtbare Bedeutung als Wirtschaftsfaktor hingewiesen wird. Indes: die kommunale Reali-tät in den finanzschwachen Gemeinden der Region schaut anders aus“. Bei jeder Haushaltsvorberatung mit der Kommunalaufsicht werde „die Ausweisung eines Hunderteuro-Scheins für den touristischen Bereich zu einem echten Kampf. Bei den großen Investitionen in siebenstelliger Größenordnung, wie bei der Neugestaltung des Kurparks, haben wir keine Chance, da der touristische Bereich immer noch als freiwillige Aufgabe dargestellt wird (Anmerkung: das schließt die Kreditfinanzierung des aufzubringen-den 10%- bis 20%-Eigenanteils kategorisch aus. Im Gegensatz dazu können Pflichtaufgaben, wie die Wasserversorgung, auch zu Kreditaufnahmen über den siebenstelligen Bereich hinaus führen). Als Folge geht uns nach und nach die gesamte touristische Infrastruktur verloren“. So musste in Berneck das Hallenbad für immer geschlossen, das ehemalige Kurhaus als Gaststätte ver-pachtet sowie das eigene Kurhotel und das städtische Kurmittelhaus verkauft werden. Ferner wurden im Bauhof drei frei gewordene Stellen nicht mehr besetzt, mit sichtbaren Auswirkungen auf Ortsbild und Pflegearbeiten. Chancen sieht Zinnert in einer verstärkten interkommunalen Zusammenarbeit. Beispiel: das QR-Projekt mit Goldkronach. Auch kann nicht jede Kommune alles vorhalten. Dann stellte er zwei Forderungen an die Politik. „Kommunale Aufgaben des Fremdenverkehrs und des Gesundheitswesens müssen zur prioritären Pflichtaufgabe zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft erklärt werden. Bei Fördermaßnahmen sind Härtefallregelungen unverzichtbar, die der besonderen Aufgabenstellung fi-nanzschwacher Fremdenverkehrs- und Gesundheitsorte gerecht werden müssen“. Die kommunalen Entscheidungsträger rief er abschließend auf, zum Gesundheitstourismus die richtige Weichenstellung für die nächsten 15 Jahre vorzunehmen. Begrenzte Möglichkeiten des Bundes nutzen Iris Gleicke sieht Tourismus als facettenreiches, aber hartes Geschäft. Die Vierjahresperiode des 18. Deutschen Bundestags von 2013 bis 2017 ist für die Beauftragte keine lange Zeit. Sie sieht für sich drei Arbeitsschwerpunkte. Die Digitalisierung, die Präsenz im Internet, die auch für kleine und kleinste Be-triebe ein absolutes Muss in der Infrastruktur für den Tourismus 4.0 darstellt, wenn man sich nicht auf reine „Laufkundschaft“ beschränken will. Die Fachkräftesicherung gerade auch in ländlich geprägten Regionen, mit guter Ausbildung, gerechter Entlohnung und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen. Und schließlich die Tourismusförderung im ländlichen Raum. Denn das Wachstum im inzwischen sechs-ten Rekordjahr in Folge, mit zuletzt +3%, findet bisher in den großen Städten statt. Eines machte Gleicke klar und dämpfte Erwartungen. Die Möglichkeiten des Bundes in Sachen Touris-mus sind beschränkt auf Auslandswerbung und spezielle Förderprojekte. Für alle sonstigen Probleme, wo die zahlreichen Zuhörer der Schuh drückt, ist die Landespolitik die richtige Adresse. Produktentwicklung einer regionalen „Dachmarke“ Wie mehr Urlauber in die ländlichen Räume gebracht werden können, ließ das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, zu dem Gleicke gehört, im Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räu-men“ mit dem Deutschen ReiseVerband (DRV) analysieren. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen wurden dann mit einer „Roadshow“ in den Jahren 2013 bis 2015 breit in die Fläche gebracht. In zehn Kurzreports mit Checklisten kam im Wesentlichen die Bedeutung der Erhaltung der regionalen Identität mit Natur, Kultur, regionale Angebote wie Essen, Trinken und Brauchtum heraus. Dabei müssen die Ak-teure einer ganzen Region, nicht nur ein Landkreis, zusammenarbeiten. Nur so kommen auch die erfor-derlichen Mittel zusammen für notwendige Marktstudien. Ziel ist die gemeinsame Produktentwicklung hin zu einer „Dachmarke“, die dann bundesweit mit den größeren zur Verfügung stehenden Mitteln vermarktet wird. Kürzlich wurde das Folgeprojekt "Die Destination als Bühne: Wie macht Kulturtouris-mus ländliche Räume erfolgreich?" erneut mit der Bietergemeinschaft um den DRV mit einer Laufzeit vom 01.08.2015 bis 31.03.2018 gestartet. Gesucht werden demnächst vier Projektregionen in Deutschland. Die genauen Ausschreibungskriterien werden im Herbst veröffentlicht. Vorhanden sein müssen moderne Übernachtungsangebote, gute Kü-che und die Ansprache von Zielgruppen, die zusammenpassen und sich ergänzen. Ein Schwerpunkt wird Barrierefreiheit sein, weil die Urlaubsgäste immer älter werden. Unter den Fragestellern im voll besetzten Nebenraum des Casa stach der Kulmbacher Stephan Ertl vom gleichnamigen Hotel hervor, das seit 15 Jahren im Internet steht. Er ist gleichzeitig 2. Vorsitzender des Vereins „Genussregion Oberfranken e.V.“. Ertl stellte kurz die Entwicklung des Vereins dar, der über 300 regionale Spezialitäten Oberfrankens bewirbt. Er wollte wissen, ob nicht die „Genussregion“ zur „Dachmarke“ fortentwickelt werden kann. Gleickes Antwort darauf: „In die Produktentwicklung zur ‚Dachmarke‘ müssen auch der Apotheker und der Buchhändler mit einbezogen sein“. Als gelungenes Beispiel nannte sie Südtirol. „Vermarkten, wo alle drinne sind. Eine gut gemachte Broschüre, die Inte-resse an einer ganzen Region weckt, wirkt besser als 20 einzelne Örtliche“. Fazit des Abend-Dialogs Völlig neue Erkenntnisse kamen nicht heraus. Aber die offene Art der Beteiligten und das Verständnis des breit gefächerten, auch fachkundigen Publikums aus mehreren Land- und Stadtkreisen lässt die Hoffnung zu, dass mehr daraus werden könnte, wenn sich alle von ihren „Kirchtürmen“ lösen. Kramme hatte zuvor bereits ein kleines Bonbons an die kommunalen Entscheidungsträger verteilt. Aus den Städ-tebauprogrammen können Mittel auch für Maßnahmen zur Barrierefreiheit eingesetzt werden, was nicht nur der älter werdenden eigenen Bevölkerung sondern eben auch dem Tourismus zugutekommt.