Eine Bewerbung und zwei Fragen - Ursula von der Leyen - ein Kommentar von Jan Fischer

Jan Fischer und Kerstin Westphal im Europäischen Parlament

15. Juli 2019

Ursula von der Leyens Nominierung wirft zwei Fragen auf.
Erstens: Wie verhält es sich mit der persönlichen Eignung unserer Verteidigungsministerin für ein Amt dieser Tragweite?
Zweitens: Was war nochmal das Spitzenkandidatenprinzip?

Zur persönlichen Eignung von Frau von der Leyen darf sich freilich jede*r positionieren, wie es ihm oder ihr beliebt. Von Befürwortern der Nominierten wird gerne auf ihren europäischen Familienhintergrund sowie ihre tiefe Verbundenheit zum Projekt Europa verwiesen. Von der Leyens Vater arbeitete als Beamter der Europäischen Kommission. Sie selbst verbrachte viele Jahre ihres Lebens in der belgischen Hauptstadt, dem Machtzentrum europäischer Politik. So liegt die Vermutung nahe, dass sie bereits früh vom Gedanken einer engen europäischen Gemeinschaft geprägt war. So verwundert es auch nicht, dass von der Leyen in ihrer Rede an der Eliteuniversität Harvard von den „Vereinigten Staaten von Europa“ sprach. Eine schönes Signal, sicherlich.

Aber kein Alleinstellungsmerkmal. So griffen auch andere Politiker*innen auf diese Umschreibung zurück und auch andere Personen charakterisiert eine tiefe Verbundenheit zu Europa. In Absprache stellen, sollte man ihr diese Eigenschaften dennoch nicht. Zukunftspläne, eine enge Verbundenheit und internationaler Respekt sind jedoch keine erschöpfenden Qualifikationsmerkmale einer Kommissionspräsidentin. Sie sind vielmehr Mindestvoraussetzung, um diesem Amt - insbesondere vor dem Hintergrund der derzeitigen weltpolitischen Lage -gerecht zu werden.

Trump, Putin, Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn, unmenschliche Verfahrenspraktiken hinsichtlich der Zuwanderungspolitik. Die Liste ist lang und wird stetig länger. Die zukünftige Kommissionspräsidentin muss diesen Problemen gewachsen sein. Dafür bedarf es Überzeugungskraft, Verhandlungsgeschick, Problemlösungskompetenz, insbesondere aber der Eigenschaft, ein tiefes Vertrauen der Menschen in die europäische Gemeinschaft, das Amt und die Person selbst, zu generieren.

Frau von der Leyen tritt jedoch vielmehr durch Berateraffären und erhebliche Mängel bei der ihr unterstellten Bundeswehr in Erscheinung. Die Führung des Verteidigungsministeriums ist kein leichtes Los. Zu Guttenberg, De Maizière. Nur zwei Namen, die aus der politischen Öffentlichkeit verschwunden sind und deren Gemeinsamkeit sich im Bundesverteidigungsminister a.D. findet. Wer Verteidigungsminister wird, verteidigt insbesondere sich selbst. Könnte man sagen. Dennoch, wer mit dem Verteidigungsministerium eines Mitgliedstaates überfordert ist, sollte nicht Verantwortung für die gesamte Union tragen. Wer durch Verfehlungen und Intransparenz in Erscheinung tritt, kann kein Vertrauen in das Amt oder die Europäische Union schaffen. Insbesondere nicht, da die Kritik einer zu Lobbyisten freundlichen Union in der Meinung großer Teile der Bevölkerung fest verankert ist.
Die Mängel an Frau von der Leyens persönlicher Eignung schaffen es jedoch, die Frage nach dem Spitzenkandidatenprinzip in Teilen zu überschatten. Das Prinzip hat uns Vieles gelehrt. Insbesondere, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem demokratisch bürgernahen Europa gibt, das so gerne gepredigt wird. Staats- und Regierungschefs, die sich in ihrer Nominierung nicht beeinflussen lassen wollen. Die unterschiedliche Popularität des Prinzips in den Mitgliedstaaten, aber auch die Illusion eines Parlaments, das zur Stärkung der eigenen Relevanz im politischen System der EU, mehrheitlich geschlossen aufzutreten bereit ist. Und zwar selbstlos und fraktionsübergreifend.
Den Menschen in Europa wurde Zusammenhalt und Selbstlosigkeit hinsichtlich der Entscheidungsfindung versprochen. Als Würdigung ihrer Stimme, um Vertrauen nicht nur zu konservieren, sondern zu vertiefen und neues zu schaffen.
Es muss sich nun jedes Parlamentsmitglied die Frage stellen, ob er oder sie bereit sind, ein solches Vorgehen mitzutragen. Wir brauchen einen Kommissionspräsidentin, zeitnah. Auch um die volle Funktionsfähigkeit der Europäischen Union zu gewährleisten. Die Union, das sind die Menschen, die in ihr Leben. Verbunden durch das Vertrauen in das Projekt Europa. Wer das Vertrauen zerstört, riskiert das Projekt. Und wer die „Vereinigten Staaten von Europa“ möchte, der sollte nicht die Grundlage dafür zerstören. Wenn Frau von der Leyen das Projekt Europa mehr am Herzen liegt, als das eigene Karrierestreben, hätte sie sich für die Stärkung des Spitzenkandidatenprinzips und gegen ihre Nominierung aussprechen müssen.

Jan Fischer SPD Kreisvorstand Bayreuth Land Beisitzer

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