Corona - Chancen für eine neue Politik

eine Hand hält die Weltkugel, dargestellt als Coronavirus
Pixaby:Dieterich01

30. April 2020

Die Corona-Krise ist allgegenwärtig. Auch heute am 1. Mai finden traditionelle Veranstaltungen der Arbeitnehmerverbände und Parteien nur online statt. Das Virus kostet Menschen ihren Job oder gar ihr Leben. Es schränkt unsere Freiheit ein, ist das bestimmende Thema dieses Jahres und noch ist nicht klar, wie lange es Einfluss auf unser gewohntes Leben nehmen wird.

Corona zeigt uns, wo nachjustiert werden muss. Was nicht nur die Politik der vergangenen Jahre verschlafen oder falsch gemacht hat, sondern auch die Gesellschaft. In so vielen Bereichen.

Angefangen bei der gesellschaftlich subtilen Herabwürdigung von Berufsgruppen, die jetzt als systemrelevant in aller Munde sind.
In vielen Bereichen scheint mir die Bezeichnung der Systemrelevanz zudem nicht als weitgreifend genug. „Überlebensnotwendig“ kann hier wohl grundsätzlich synonym verwendet werden.
Die Systemrelevanz dieser Berufe resultiert aber nicht aus Corona. Sie bestand schon vorher. Hier wäre somit eine ernst gemeinte – nicht nur oberflächliche – gesamtgesellschaftliche Debatte über die zukünftige Würdigung von Pflegekräften, Kassiererinnen, Polizisten, etc. dringend notwendig. Stattdessen wird die Zeit für ernste Debatten nicht mit Worten, sondern überwiegend mit Applaus gefüllt. Und nicht nur viele Politiker, sondern auch Menschen außerhalb der Politik setzen sich nur beiläufig mit der Thematik auseinander.

Noch ernüchternder erscheint mir die Einmalzahlung von bis zu 500 Euro für Pflegefachkräfte. Sie sind ähnlich dem Klatschen triste Symbolpolitik und lassen vermuten, dass es keine ernst zunehmenden Vorhaben zur zukünftigen Vergütung, Auslastung und Nachwuchsförderung gibt, die bereits jetzt umsetzbar wären und auf politische Mehrheiten stießen. Wer meint, dass Würdigung auf Geld reduziert werden kann, unterliegt einer Fehleinschätzung.

Ungeachtet dessen genügen bis zu 500 Euro wohl nicht einmal für die Ausstattung zum Homeschooling der eigenen Kinder. Ich verkneife mir an dieser Stelle aus Platzgründen die Thematisierung weiterer kritischer Punkte.
Geldzahlung ist sicher besser als nichts, aber eben nur das Mindeste und nicht der Anspruch, den wir als Gesellschaft an die Politik haben müssen.

Homeschooling und das Onlinesemester lassen uns spüren, wie die Bundesländer es mit der Digitalisierung halten. Eine zentrale Organisation von Onlineplattformen gibt es oft nicht einmal in den Schulen. Schüler und Eltern werden mit unterschiedlichsten digitalen Vermittlungsideen konfrontiert, denen oft jedes strukturell gemeinschaftliche Konzept fehlt. Jede Lehrkraft bestreitet ihren eigenen Weg, zum Leidwesen der Schüler und auch vieler Lehrer selbst, die sich einheitliche Konzepte wünschen würden.
An den Universitäten, wo Wissen, Struktur sowie Organisation vermittelt und Zukunftsideen forciert werden sollen, zeichnet sich ein Bild, das erschaudern lässt. Viele Lehrstühle sind maximal überfordert mit der Umstellung auf Onlinelehre. Allein die Organisation der Kurse und die Weitergabe wichtiger Informationen an die Studentenschaft bereiten gravierende Probleme. Gegenteilige Informationen, unterschiedlichste Plattformen und der schon lange bestehende Widerwille einiger Professoren hinsichtlich des Abhaltens von Onlineseminaren bzw. Vorlesungen. Während Privatuniversitäten das Fernstudium mittels der heute zugänglichen Medien für sich nutzen – natürlich gegen saftige Gebühren -, stagniert das staatliche Bildungsmanagement in weiten Teilen.
Die Problematik mit der Arbeit von zuhause findet sich auch in vielen Unternehmen. In einigen Bereichen, die für den Rückgriff auf das Homeoffice geeignet wären, schreckten Arbeitgeber von der Schaffung dieser Möglichkeit bisher zurück. Oft aus Misstrauen vor der vermutet schlechten Arbeitsmoral der Arbeitnehmer. Zynisch, wenn man bedenkt, dass der Erfolg eines Unternehmens gerade auf dem Vertrauen in die Leistungsbereitschaft der Angestellten aufbaut. Das rächt sich in vielen Unternehmen, die wegen Corona auf Homeoffice setzen müssten, aber jetzt auf keinerlei Erfahrung oder gar Routine in diesem Bereich zurückgreifen können.
Corona zeigt uns, dass die Digitalisierung in so vielen Bereichen verschlafen wurde. Mit Blick auf die Zukunft sollten Überlegungen wie das Recht auf Homeoffice und die Implementierung von Onlinekursen im Bildungsbereich als zusätzliche Angebote vorangetrieben werden.

Viel an Bildung braucht man derzeit wohl nicht, sondern nur gesunden Menschenverstand, um endlich die Gefahr der Populisten zu erkennen. Donald Trump versagt in der Corona-Krise und gefährdet Menschenleben nicht nur durch unüberlegte Äußerungen zur potentiell heilenden Wirkung durch die Einnahme von Infektionsmittel.
Bolsonaro schockiert in Brasilien durch das Kleinreden der Krise. Als „ehemaliger Athlet“ hätte er vom Virus nichts zu befürchten, so der Präsident sinngemäß. Seinen Gesundheitsminister entließ er inmitten der Krise, weil dieser sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation orientierte.
Von der AfD in Deutschland hört man wenig bis nichts mehr, wenn es um das Virus geht. Aber was sollten die Rechtspopulisten auch vorschlagen. Ein Virus lässt sich nicht ausschließen oder ins Ausland abschieben. Vereinfachte Lösungspropaganda wird schnell als solche enttarnt.
Es sind eben jene Rechtspopulisten, die als Klimaleugner und Umweltzerstörer auch das Risiko weiterer Epidemien vorantreiben.
Und während AfD-Anhänger panisch vor dem Niesen der Nachbarn flüchten und ihr gewohntes Umfeld aus Sicherheitsgründen aufgeben, finden sie vielleicht sogar die Zeit, auch andere Fluchtursachen anzuerkennen. Hoffentlich.

Corona zeigt uns, welchen Einfluss politische Entscheidungen auf unser Leben haben. Wie wichtig es ist, über eine funktionierende Regierung zu verfügen, die wirklich inhaltliche Arbeit leistet und nicht nur populistische Phrasen drischt.
Wir alle tun gut daran, diese Erkenntnis auch nach Corona im Kopf zu behalten.

Zum Schluss:

Corona zeigt uns auch, wie wir in schweren Zeiten zusammenhalten. So viele Menschen helfen sich untereinander, erledigen für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger Besorgungen, nähen Masken, spenden und kaufen soweit möglich bei regionalen Anbietern.

Der Zustand derzeitiger Einschränkungen ist ungewohnt. Ungewohnt aber nur, weil wir das Glück haben in einer stabilen Demokratie, einem Land mit starken Freiheitsrechten leben zu dürfen. Auch diese Erkenntnis sollte nach Corona bestehen bleiben, wenn wieder autokratische Tendenzen von mancher Partei oder Person befeuert werden.
Nur durch Zusammenhalt und gegenseitige Rücksichtnahme überstehen wir Corona. Solidarität ist das Gebot der Stunde. Schön, dass wir sie in so vielen Bereichen leben.
Lasst sie uns, auch nach Corona, nicht vergessen.

Übrigens: Es gibt auch noch Politik neben dem Corona-Virus. Diese sollte man nicht aus den Augen verlieren, denn es wird auch eine Zeit nach Corona geben und die soll schließlich besser sein, nicht schlechter.

Jan-Michael Fischer

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